Ein Wochenende voller Dialog und Begegnungen
Zwischen 12. und 14. Juli 2024 war es wieder soweit: Das Europa-Forum, das in Kooperation der Europäischen Föderalistischen Bewegung (EFB) mit den Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) organisiert wurde, ging unter dem Leitthema “Zeitenwende – Europa verwalten oder gestalten?” in seine 67. Runde.
Am Beginn des Forums, das aufgrund von Anreiseschwierigkeiten infolge eines Sommergewitters etwas verspätet auf der Burg Forchtenstein startete, stand ein gemeinsames Abendessen im Innenhof der Europaburg. Nach der kulinarischen Stärkung begaben sich die Gäste in den AudiMax-Saal, wo unter der Moderation von Lisa Kaum (JEF Oberösterreich) drei ehemalige Abgeordnete zum Europäischen Parlament einen “Rückblick auf die Europawahlen und Ausblick auf die Periode” unternahmen. Im Zuge ihrer Wortmeldungen wiesen Friedhelm Frischenschlager (LIF), Eva Lichtenberger (Die Grünen) und Paul Rübig (ÖVP) darauf hin, dass die EU sich nun selbst endlich ernst nehmen und ihre längst überfällige Institutionenreform in den Mittelpunkt rücken müsse (v.a. die alte föderalistische Forderung der Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips wurde angesprochen). Um für ihre Bürger*innen und v.a. die jüngere Generation erklärbar zu bleiben, müsse die EU ihren Nutzen für die Bevölkerung deutlicher machen, wofür auch verstärkt die neuen Medien eingesetzt werden sollten, da eine ausgewogene nationale Berichterstattung in TV und Zeitung – zumindest in Österreich – zu wünschen übrig lasse. Zudem mahnten die drei ehemaligen Abgeordneten, dass die Union in Zukunft nur dann eine globale Rolle spielen könne, wenn sie mit einer gemeinsamen Stimme auftrete. Dafür brauche sie gerade in Zeiten, in denen (wieder) ein bewaffneter Konflikt auf europäischem Boden ausgetragen wird, eine Politik des Dialogs und des Aufeinander-Zugehens, wobei Uneinigkeit darüber herrschte, wie dies im Detail aussehen sollte. Die darauffolgende Diskussion mit den Teilnehmer*innen war – wenig überraschend – geprägt von Fragen zum Vormarsch der Rechtsaußen-Parteien bei den EU-Parlamentswahlen am 9. Juni sowie zum aktuellen EU-Ratsvorsitz, der seit 1. Juli turnusmäßig für sechs Monate bei Ungarn liegt. Danach wurden die Gespräche beim gemütlichen Ausklang im Burghof weitergeführt.
Der Samstag, 13. Juli, wartete mit drei hochkarätig besetzten Diskussionsrunden auf. Der Tag startete mit einem Panel zum Thema “Wirtschaft in Transformation”, das von Iris Toto (EFB Oberösterreich) geleitet wurde. Es brachte Christelle Savall, Präsidentin von JEF Europe, und Franz Nauschnigg, Generalsekretär der Österreichischen Sektion der Europäischen Liga für wirtschaftliche Zusammenarbeit (ELEC), an einen Tisch. In ihrem Impulsvortrag ging Savall vor allem auf die Rolle der EU als Normativ- und Zivilmacht ein und erklärte die wichtigsten Eckpunkte für ein föderales EU-Wirtschaftsmodell, wofür es zum einen einer Fiskalunion (inkl. gemeinsamer Steuern und Kreditaufnahmemöglichkeiten) und zum anderen einer Spar- und Investitionsunion bedürfe. Zusätzlich müsse dafür über reine Wirtschaftspolitik hinaus gedacht werden, und zwar in Richtung EU-Kompetenzen im Gesundheitswesen wie auch einer vollständigen Wiederherstellung des Schengen-Systems. Daran anschließend sprach sich Nauschnigg in seinen Impulsvortrag für eine Stärkung des EU-Binnenmarkts durch eine Vollendung der EU-Kapitalmarktunion aus und stellte die von einer ELEC-Arbeitsgruppe erarbeiteten Vorschläge vor [1]. Wege zur Kapitalmarktunion seien beispielsweise die Harmonisierung der Insolvenzverfahren, die Vollendung der Bankenunion, eine Energieunion sowie eine sukzessive Euroraumerweiterung. Auch gab er zu bedenken, dass – analog zur Euro- oder Schengenzone – nicht alle Mitgliedstaaten gleichzeitig in die Kapitalmarktunion eintreten müssten, damit diese funktionstüchtig sei.
Das zweite Diskussionspanel brachte die Themen “Klimawandel und Migration” zusammen und wurde von Igor Woloschtschuk (JEF Steiermark) moderiert. Als Diskutant*innen standen Anja Krohmer, Deutschtrainerin für Migrant*innen und Geflüchtete, und Andreas Steinmayr, Professor für Empirische Wirtschaftsforschung am Institut für Finanzwissenschaften der Universität Innsbruck, zur Verfügung. Steinmayr erläuterte eingangs die Unterschiede zwischen temporärer und langfristiger Migration und sprach v.a. über die migrationsbegünstigenden Faktoren, zu denen eine geregelte Einwanderungspolitik und ein rechtlicher Rahmen genauso zählen wie etablierte Migrationskorridore (z.B. in Form familiärer Netzwerke); ebenso spiele die räumliche Nähe sowie die Sprachkompabilität des Herkunfts- und Ziellandes eine große Rolle. Darüber hinaus warf er die für viele Teilnehmer*innen überraschende Frage auf, warum es auf der Welt nicht mehr Migration gebe, denn aus globaler Perspektive lebten lediglich ~3% der Bevölkerung außerhalb ihres Geburtslandes. Krohmer versorgte das Publikum zu Beginn mit Kennzahlen zur ungewollten und gewollten Migration und gab im Verlauf des Panels immer wieder Einblicke in ihre Arbeitspraxis mit einprägsamen Beispielen aus ihren Deutschkursen. In Hinblick auf den Einfluss des Klimawandels auf Migrationsströme machten beide Panelgäste deutlich, dass vor allem die Länder und Menschen südlich der Sahara und weniger die OECD-Länder davon betroffen sein werden. Auf die Frage, welche Position die EU in puncto klimabedingter Migration einnehmen solle, wies Steinmayr darauf hin, dass diese Frage aufgrund ökonomischer Realitäten anders gestellt werden müsse: Sehr viel wesentlicher werde aus seiner Sicht die Frage sein, wie Europa sicherstellen kann, dass genügend Fachkräfte, die derzeit überall gern rekrutiert werden, nach Europa kommen. Krohmer ihrerseits legte der EU eine geregelte Migrationspolitik nahe, die v.a. auf die Eindämmung von Fluchtursachen und Schlepperkriminalität durch Kooperation mit den Herkunftsländern ausgerichtet sein soll, um somit unnötiges Leid zu verringern.
Der Fokus der letzten Diskussionsrunde des Tages lag auf dem Thema “Sicherheit und Erweiterung” und brachte den Vizepräsidenten der EFB Österreich und designierten Leiter der Österreichischen Botschaft Hanoi Philipp Agathonos und die langjährige Korrespondentin für Südosteuropa der österreichischen Tageszeitung Der Standard Adelheid Wölfl unter der Leitung von Sabine Radl (EBÖ) auf das Podium. Zu Beginn gab Wölfl einen Einblick in die aktuelle Situation der einzelnen EU-Beitrittsländer am Balkan und kritisierte v.a. die Aufweichung der Erweiterungsgrundsätze und die unzulängliche Einforderung der Rechtsstaatlichkeit, die die Aufnahme der westlichen Balkanländer in die EU bis dato verzögerten. Beide Panelgäste wiesen auch auf die starke Präsenz von China und Russland in den Beitrittskandidatenländern am Balkan hin und wie wichtig der Erhalt bzw. die Rückgewinnung eines kritischen Journalismus in diesen sei. Auf die Frage Radls, ob Sicherheit und Erweiterung nicht ein und dieselbe Seite einer Medaille seien, erklärte Agathanos, dass die beiden Begriffe nicht im Widerspruch zueinander stünden, da Europa im globalen Ganzen gesehen aus kleinen Nationalstaaten bestehe. Das heißt, je mehr Länder sich an einer gemeinsamen Sicherheitspolitik beteiligen, umso besser! Allerdings stellen dafür jetzt schon die strukturellen Probleme im Inneren der EU und die Inkompatibilität der europäischen Systeme große Herausforderungen dar. Abschließend wurde die Idee erörtert, sicherheitspolitische Erwägungen stärker in den Beitrittsprozess einzubeziehen, wobei auch die Zusammenarbeit mit Großbritannien und die Rolle der NATO thematisiert wurden.
Am Samstagabend lud die EFB Steiermark alle Gäste des Europa-Forums wie auch alle interessierten Neumarkter*innen in den Raiffeisensaal der Marktgemeinde Neumarkt/Stmk ein. Zu Beginn des offiziellen Teil des Abends, durch den Andreas Weber, Landesvorsitzender der EFB Steiermark führte, standen traditionell die Grußworte der Landtagspräsidentin Manuela Kohm (ÖVP) und des langjährigen Präsidenten der Wirtschaftskammer und Präsidenten der EYFON-Stiftung Christoph Leitl sowie des Bürgermeisters der Marktgemeinde Josef Maier (ÖVP) und in diesem Jahr auch der NR-Abgeordneten und Sprecherin für Menschen mit Behinderungen, Gesundheit und Pflege Fiona Fiedler (NEOS). Anschließend folgte der Impulsvortrag des frisch gewählten Europaabgeordneten Reinhold Lopatka (ÖVP), der uns einen Ausblick auf die Periode 2024-2029 gab und die Wichtigkeit von Europa als starkem Industrie- und Wirtschaftsstandort betonte, damit das einzigartige europäische Lebensmodell mit all seinen Leistungen von der Forschung bis zum Gesundheitssystem weiterhin finanziert werden könne. Denn, so Lopatka, “nur ein fest verwurzeltes Europa kann auch in stürmischen Zeiten stehen bleiben”. Nach der Europahymne begleitete heuer die Kärntner Band plus ǀ minus [+/-] aus St. Veit an der Glan den gemütlichen Teil des Abends.
Am dritten Tag der Veranstaltung, am Sonntag, dem 14. Juli, fand unter strahlendem Sonnenschein eine Exkursion zum Heinrich-Harrer-Museum in Hüttenberg statt, bei der die Teilnehmer*innen nicht nur das Museum besichtigten, sondern auch zwei Workshops besuchten, und zwar zum Thema EU-Erweiterung und Integration, geleitet von Christelle Savall (JEF Europe), und zum Thema Föderalismus, geleitet von Markus Seunig (JEF Steiermark). Zu Mittag konnten sich die noch verbliebenen Gäste bei einem traditionellen Gulasch für die Heimreise stärken.
Wir bedanken uns bei allen Referent*innen, Teilnehmer*innen, Sponsor*innen, Mitorganisator*innen und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen auf das Herzlichste, die das Europa-Forum heuer bereichert und die Europaburg einmal mehr zu einem diskussions- und aufschlussreichen Ort der Begegnung und des Dialogs gemacht haben!
Wir freuen uns schon auf das 68. Europa-Forum im Jahr 2025, bei dem die EFB Steiermark und ihre Jugendorganisation, die JEF Steiermark, ihr 70-jähriges Bestehen feiern werden!
– Ihre EFB Steiermark & JEF Steiermark
[1] ELEC-Positions-Papier (2024) “Why EU Capital Markets Union has become a “must have” and how to get there”, https://eleclece.eu/wp-content/uploads/2024/02/ELEC-position-paper-Why-EU-Capital-Markets-Union-has-become-a-must-have-and-how-to-get-there-February-2024-v2.pdf, abgerufen am 15. Juli 2024.
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